Leipzig, 18. Dezember 2024 –Verbio sieht akuten Handlungsbedarf bei der Bundesregierung, um den chinesischen Klimabetrug nachhaltig zu stoppen und weiteren Betrugsversuchen wirksam vorzubeugen. Dies liegt nicht nur im Interesse der Biokraftstoff-Branche, sondern ist von Bedeutung für alle Branchen, die an der Energiewende beteiligt sind. Verbio investiert verstärkt im Ausland und diversifiziert das Produktportfolio, um auch unter schwierigen Rahmenbedingungen wettbewerbsfähig zu bleiben.
Milliardenschäden durch Klimabetrug – nicht nur für die Biokraftstoffindustrie
In der aktuellen Ausgabe des Podcasts #strohklug erklären Claus Sauter und sein Gast, Stefan Schreiber, welche gravierenden Auswirkungen der Klimabetrug für die Biokraftstoffproduzenten und die Erneuerbare-Energien-Branche in Deutschland hat. Stefan Schreiber ist in seinen Funktionen als Vorstand bei Verbio, Präsident des Verbands Deutscher Biokraftstoffhersteller (VDB) und einer von drei Sprechern der „Initiative Klimabetrug Stoppen“ Experte für die Regulatorik und den dazugehörigen Austausch mit Behörden und Politik.
Der massive Import von zu Unrecht als fortschrittlich deklariertem Biodiesel und der Betrug bei Upstream-Emissions-Reduktionsprojekten (UER) haben der deutschen Biokraftstoffbranche durch den damit verbundenen Preisdruck und sinkende THG-Quotenpreise schwer geschadet. Sauter greift die Ergebnisse einer ZDF-frontal-Recherche auf und erklärt empört: „Eines dieser UER-Ausgleichsprojekte war ein stillgelegter Hühnerstall in der Nähe von Peking.“
Mit Blick auf die wirtschaftlichen Schäden erläutert er am Beispiel der Verbio SE: „Vor zwei Jahren hat die Tonne CO₂-Einsparung 400 Euro gekostet. Im Moment reden wir über 50 Euro. Der Rückgang ist also dramatisch. Unsere Erträge sind im letzten Geschäftsjahr sukzessive zurückgegangen. Zwar haben wir deutlich mehr Biokraftstoffe produziert als im Vorjahr, aufgrund dieser Problematik haben wir aber rund 30 Prozent weniger Umsatz gemacht. Das Ergebnis hat sich im Vergleich zum Vorjahr sogar halbiert.“
Von diesen Marktverwerfungen ist nicht nur die Biokraftstoffbranche betroffen. Der Verfall der Preise für THG-Quoten wirkt sich auch auf weitere Branchen aus, die die Energiewende vorantreiben. Stefan Schreiber erklärt: „Wenn Sie als Stadtwerk einen Elektrobus angeschafft haben, dann konnte ungefähr ein Drittel bis die Hälfte der Mehrkosten dieses Busses durch den Handel von THG-Quoten wieder eingebracht werden und die Mehrkosten entsprechend zu deutlichen Teilen kompensiert werden.“ Dies sei nun nicht mehr der Fall. „Dies ist heute auf einen Bruchteil dessen abgerutscht, weil der Preis einer eingesparten Tonne CO₂, der sogenannte THG-Quotenpreis, in den Keller gerauscht ist“, so Stefan Schreiber weiter. „Es ist ein absolut existenzielles Problem, was ja erste Insolvenzen schon gezeigt haben. Und zwar nicht nur im Biomethan-Bereich, wo es also viel durch die Presse ging, sondern im Prinzip auch auf der Elektro-Seite“, so Schreiber.
Angesichts des Schadens zeigt sich Claus Sauter verärgert über die verhaltene Reaktion der Bundesregierung: „In den USA gab es im Bereich Biokraftstoffe auch Betrügereien. Die sitzen heute alle im Gefängnis. Bei uns reden wir hier wirklich über Milliardenschäden, und es passiert nichts.“
Die Politik reagierte viel zu spät und nicht konsequent genug
„Seit ungefähr zwei Jahren sehen wir eine signifikante Zunahme an Importen von fortschrittlichen Biokraftstoffen, insbesondere aus China. Also in der Zwischenzeit hat sich diese Menge ungefähr verdoppelt“, sagt Stefan Schreiber.
Er ergänzt: „Vor knapp zwei Jahren haben wir angefangen, das Umweltministerium auf den Hochlauf dieser mutmaßlich betrügerischen Importe hinzuweisen. Es gab auch anfangs recht konstruktive Gespräche, was man denn tun könnte und wie man dem Herr werden könnte. Wir als Unternehmen, aber auch die Branche hat also Lösungsvorschläge dort schriftlich hinterlegt. Und danach ruhte dann still der See. Das heißt, Gesprächsanfragen wurden nicht mehr beantwortet oder abschlägig beschieden. Und der Druck wurde immer größer im Markt, das Problem immer größer.“
Erst 2024 hat die Politik reagiert: Auf die Biodiesel-Importe verhängte die EU Anti-Dumping-Zölle, und die Bundesregierung ließ die Anerkennung der UER-Ausgleichsprojekte vorzeitig auslaufen. Im November wurde dann mit der Änderung der 38. BImSChV die Übertragung von überschüssigen CO2-Einsparungen (den sogenannten THG-Quotenüberhängen) aus dem aktuellen Jahr in die Jahre 2025 und 2026 ausgesetzt. Die Verbio-Vorstände begrüßen diese Maßnahmen ausdrücklich. Sie betonen aber auch, dass sich dadurch zwar die Marktsituation in 2025 stabilisieren dürfte, die bereits entstandenen Milliardenschäden und der entgangene Klimaschutz damit nicht kompensiert werden.
Stefan Schreiber möchte auch für die Schäden eine politische Lösung: „Man könnte zum Beispiel auf die Jahre 2025/26, oder auch die Folgejahre, einen Aufschlag auf die zu erfüllenden THG-Quoten machen, um den nicht erbrachten Klimaschutz nachzuholen. So hätte man den Schaden zwar nicht ersetzt, aber aus der Sicht des Verbrauchers gäbe es zumindest eine Aussicht darauf, dass er den Klimaschutz tatsächlich bekommt, für den er bezahlt hat.“
Mangelhafte Kontrollen ermöglichen Betrug und höhlen den Klimaschutz aus
Fortschrittliche Biokraftstoffe aus Abfällen und Reststoffen werden in Deutschland doppelt auf die Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen CO₂-Einsparung (der THG-Quote) angerechnet. Konventionelle Biokraftstoffe werden nur einfach angerechnet. Wenn also konventioneller Biokraftstoff umetikettiert wird zu fortschrittlichem Biokraftstoff, ist dies für die Betrüger nicht nur äußerst lukrativ, sondern drückt enorm auf die THG-Quotenpreise. Da die Doppelanrechnung nur in Deutschland gilt, ist der Anreiz für Betrug hier auch am größten. Aufgrund der unzureichenden Kontrollen wurde der deutsche Markt in den letzten zwei Jahren mit falsch deklariertem fortschrittlichem Biodiesel aus China überschwemmt.
Sauter fürchtet, die Probleme auf dem deutschen Biokraftstoffmarkt könnten auch andere grüne Branchen und Techniken betreffen, wenn dort ähnlich nachlässig kontrolliert würde: „Es geht ja auch um die Dekarbonisierung des Stahls, der Chemie, viele andere Bereiche. Und wenn man dort in Zukunft keine Kohle mehr einsetzt, um den Stahl herzustellen, sondern erneuerbaren Wasserstoff, dann kommt irgendwann aus China billiger Stahl mit dem entsprechenden Zertifikat. Da haben hiesige Produzenten keine Chance.“
Um den Betrug nachhaltig zu stoppen, fordern Sauter und Schreiber von der Bundesregierung, das Betrugspotenzial bei Biokraftstoffimporten und CO₂-Projekten durch konsequente Kontrollen wirksam einzugrenzen. Zusätzlich muss eine wirksame Betrugsprävention eingeführt werden.
Nationales Zulassungsverfahren als effektive Maßnahme gegen Betrug
Die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung, die Anrechnung der UER-Projekte vorfristig einzustellen und durch die Änderung der 38. BImSchV den Übertrag überschüssiger THG-Quoten in 2025/2026 auszusetzen, sollten den Markt zwischenzeitlich stabilisieren. Dadurch wird die Ursache des Problems aber nicht nachhaltig behoben.
Damit Betrug in Zukunft vermieden wird, fordern Sauter und Schreiber die Einführung eines nationalen Zulassungsverfahrens für Biokraftstoffe, bei dem sich laut Schreiber „erst einmal jeder registrieren lassen muss, der fortschrittliche Biokraftstoffe auf den deutschen Markt liefern will.“ Dieses müsse noch um ein Betretungsrecht vor Ort erweitert werden. Schreiber erläutert: „Das heißt, gibt es nach Prüfung von Unterlagen immer noch Zweifel, muss es die Möglichkeit geben, vor Ort einen Besuch abzustatten.“
Die Umsetzung dieses Verfahrens wäre seitens des BMUV noch vor den anstehenden Bundestagswahlen möglich: „Man kann dieses Zulassungs- oder Registrierungsverfahren auf dem Verordnungswege verabschieden“, erklärt Stefan Schreiber.
Auf eine europäische Lösung kann die Branche laut Schreiber nicht warten: „Europa ist eine richtige Lösung, aber es würde mindestens ein bis zwei Jahre dauern, um das auf dieser Ebene umzusetzen. So lange können wir als Branche nicht warten; viele Unternehmen würden diesen Zeitraum nicht mehr überleben.“
Verbio will weiter ins Ausland und in die grüne Chemie investieren
Angesichts der wiederholten Marktverwerfungen im deutschen Biokraftstoffmarkt sieht sich Verbio mit seiner Strategie bestätigt, stärker im Ausland zu investieren. Claus Sauter fasst zusammen: „Wir als Unternehmen haben reagiert. Wir haben uns international aufgestellt und sind mittlerweile auch in den USA und in Indien aktiv.“
In Deutschland würde Sauter dennoch gern investieren: „Die Entscheidung, jetzt außerhalb Deutschlands zu investieren, die haben wir ja schon vor Jahren getroffen. Aber natürlich gucken wir immer wieder, gibt es denn Möglichkeiten, weil die Regulatorik und die Ziele, die man sich gesetzt hat bis 2030, die ja auch als Gesetz schon vorliegen, eigentlich alle sehr, sehr vielversprechend [sind]. Aber es geht um die Spielregeln, wie das gemacht wird, und die müssen eingehalten werden. Und da ist natürlich der Gesetzgeber und allen voran das Bundesumweltministerium in der Pflicht, diese Spielregeln zu kontrollieren.“
Um sich breit und robust aufzustellen, erschließt Verbio neue Potenziale außerhalb des Biokraftstoffsegments. Am Standort Bitterfeld baut Verbio eine neue Anlage zur Produktion biobasierter Spezialchemikalien. Die dort produzierten grünen Moleküle können in Zukunft zur Herstellung von Hochleistungsschmierstoffen, biobasierten Lösungsmitteln und Kunststoffen eingesetzt werden. Damit möchte Verbio zur Defossilisierung der chemischen Industrie beitragen.
„Wir gehen neue Wege, raus aus dem Transportbereich, und werden in Zukunft unsere Produkte nicht mehr nur energetisch, sondern auch stofflich verwerten“, umreißt Claus Sauter die Wachstumsstrategie des Unternehmens.
Die neue Ausgabe des Podcasts #strohklug mit den Verbio-Vorständen Claus Sauter und Stefan Schreiber ist ab sofort bei Apple Podcasts, Deezer, Google Podcast, Spotify und im Web auf www.strohklug.de zu finden.